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04
Oktober
KURZGESCHICHTE: Die Ware: Frau
Ich weinte, als der Zug aus dem Bahnhof glitt. Die Tränen rollten nicht an meiner Wange hinab. Das Weinen war in mir. Antrainiert in den verschenkten zwei Jahren, wie kleine Hunde Kunststücke aufführen oder Mäuse über eine dünne Schur laufen. Die Träne fällt durch ein schwarzes Loch, endet in einer riesigen Gewölbehalle und trifft auf einen See, dem kein Laut entrinnt.
Ist es nicht die Vergangenheit, die uns fest hält und Schmerzen bereitet, aber die Zukunft uns hoffen lässt? “Reichst du mir Salz.” Zum dritten Mal hatte ich den Satz wiederholt, nun etwas lauter. Die Gäste an den Tischen horchten auf und wendeten die Köpfe. Ich stupste meinen Mann mit dem Fuß. Er reagierte, sah mich an und auch nicht. Er griff nach dem Streuer und schob in mir zu. “Ich hab eine Neue.” Mechanisch aß er. Schnitt ein Stück ab von seinem Fleisch und steckte es in den Mund. “Sie heißt Eva,” er schluckte den Bissen hinunter, “und wir werden zusammen ziehen.” Er nahm die Serviette vom Schoß, wischte einen Fleck Rotweinsoße vom Mundwinkel und legt sie wieder auf die Beine. “Eva möchte in meine Stadtwohnung, du musst ausziehen.” Ein älteres Ehepaar am Nachbartisch steckte die Köpfe zusammen. “Ich habe dir für heute Nacht ein Zimmer gemietet. Deine Sachen sind bereits dort. Auch Geld für ein Zugticket. Es wäre von Vorteil, wenn du die Stadt verlässt. Wir könnten uns über den Weg laufen. Das möchte ich nicht.” Mein Mann griff in den Brotkorb und wischte mit einem Stück Weißbrot die Soße vom Teller. Er rief den Ober und zahlte. Vor dem Restaurant hielt er für mich die Tür vom Taxi. Dem Fahrer erklärte er knapp, zum Hilton bitte. “Es war schön mit dir.” Die Tür schlug zu, bevor ich ein Wort erwidern konnte. Wahrscheinlich hätte ich nichts zu sagen gewusst. Der Weg liegt vor mir. Mein Mantra. In der vergangenen Nacht zurecht gelegt und jetzt vor mir hin brabbelnd wie ein Gebet. Der Weg heim. Austauschware.
24
September
KURZGESCHICHTE: DAS RESTLICHE LEBEN
Sie drehte die kleine Handtasche auf den Kopf. Der Inhalt ergoss sich über den Tisch. Ihr Lippenstift, samtrot, mit dem sie unzähligen Männern den Kopf verdreht hatte, rollte bis ans Ende der Tischplatte, kippte vornüber und blieb unbeachtet auf dem Boden liegen. Ihr stumpfer Blick durchwühlte die Utensilien. Eine Bürste, das winzige grüne Portemonnaie - das letzte Geld war schon lange ausgegeben -, die gesperrte Kreditkarte, ein paar verbogene Haarnadeln, zwei schwarze Haargummis, Puder und ein Präservativ. Nicht viel und keine große Wahl. Der einzige Gegenstand von Nutzen war das Präservativ, ungebraucht und in der Plastikverpackung verhüllt versprach es zumindest ein warmes Abendessen und eine Nacht ausschlafen mit einem unrasierten, ungewaschenen Mann. Eine kleine Hoffnung.
Sie bestellte sich einen Gin Tonic, nicht wissend, wie sie ihn bezahlen sollte. Die Bedienung nahm die Bestellung auf und ging davon. Ihre Hände wurden feucht. Sie hatte natürlich den Blick bemerkt, mit der die Bedienung sie abschätzte, angefangen von den hochhackigen Schuhen, über die Strümpfe, der schmutzige und zerrissene Rock, die viel zu weit ausgeschnittene Bluse, bis zum verschmierten Make-up. Auf der Toilette spritzte sie sich etwas Wasser ins Gesicht. Zum ersten Mal bemerkte sie die Augenringe, die sich tief in ihr Gesicht gebrannt hatten. Sie versteckte ihr alterndes Gesicht hinter viel Puder, setzte sich mit überschlagenen Beinen an den Tisch zurück und schnorrte sich von einem jungen, blauäugigen Mann eine Zigarette.
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