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02
Oktober
NACH DER WAHL: DIE KRAFTWERKSBETREIBER JODELN ZUM ANGRIFF
Wie aus einem Munde klang es weit über das Tal, als EON, RWE und Co. sich trafen und proklamierten. Es war, als wären sie zur Verkündigung auf den höchsten Berg gestiegen und hätten von ganz oben ihr Mantra ins Land posaunt, auf dass es auch ein jeder vernehme: DIE LAUFZEITEN DER KERNKRAFTWERKE MÜSSEN VERLÄNGERT WERDEN.

Die Angela und der Guido müssen sich zu diesem Zeitpunkt gerade den Schlaf aus den Augen gewischt haben. Nicht einmal 24 Stunden ließen die Vorsitzenden der großen deutschen Energieversorger verstreichen, um vor die Mikrophone zu treten und den Wahlsieg von schwarz-gelb auf ihre Weise zu feiern.

Sie hatten die Gunst der Stunde genutzt. Zwei Parteien, die den zuvor unter schwarz-rot ausgehandelten Energiekonsens kippen könnten. Schließlich plädierte die CDU, genauso wie die FDP, die Laufzeiten anzupassen, zugunsten der Umwelt.

Man könnte das Vorgehen der Großkonzerne einfach auch als frech bezeichnen. CDU/CSU und FDP werden sich schon einigen, irgendwie, schließlich gibt es genügend Übereinstimmungen. Hätte man nicht wenigstens warten können, bis der Koalitionsvertrag unterzeichnet ist und dann ein leiseres Lied angestimmt?

Aber das hätte die Wirkung verfehlen können. Ein Pressing in der frühesten Phase des Spiels. Beim Fußball ist ein offenes und aggressives Spiel erwünscht. Es steigert die Freude beim Zusehen.

Diese Aktion dürfte jedoch die Wähler verschreckt haben, die im guten Glauben an eine saubere und sichere Zukunft ihr Kreuz an dieser Stelle gemacht haben.

 
 
30
September
Oh, wie schön ist Panama. - Das Wahl-Duell im Zeichen der Tigerentenkoalition
Ein Artikel in der FAZ bezeichnet die Moderatoren des Fernsehduells zwischen Merkel und Steinmeier als Wadenbeißer. Aber in wessen Waden wurde denn da gebissen und wer musste sein Gebiss dafür hergeben.

RTL-Mann ... hatte vollmundig angekündigt, die Stimmung anzuheizen, damit das Duell nicht zur Langeweile verkomme. Aber es ist so gekommen wie befürchtet. Die Moderatoren waren nicht in der Lage, etwas Biss in die Sendung zu bekommen. Stattdessen reihten sie eine aalglatte Frage an die nächste und hofften, bis auf müde Versuche durch unpassendes Unterbrechen der Kontrahenten, dass sich Merkel und Steinmeier selbst an die Gurgel gehen würden. Aber nichts passierte, außer die eintretende Lethargie der Zuschauer.

Die beiden Kontrahenten hatten auch keinen Grund dazu den Gegner anzugreifen. Denn letztendlich hätte es passieren können, dass die Attacke wieder auf sie zurückgefallen wäre. Das ist nun mal so in einer großen Koalition. Man trägt die Entscheidungen gemeinsam, wenn auch mit Murren, dass einmal aus der einen, mal aus der anderen Ecke lauter dröhnt.

Merkel und Steinmeier waren sich sogar einig. Jeder beanspruchte für sich in der großen Koalition mehr für das Wohl des Volkes getan zu haben.

Am Interessantesten waren da noch die Blitzumfragen, die zeigen sollten, wer das Duell gewonnen habe. Da wurde abgefragt, wer dem Publikum am Sympatischsten wirkte, wer die meiste Glaubwürdigkeit besaß und wer die kompetentesten Antworten gab. Wie kann man aber Glaubwürdigkeit und Kompetenz voneinander trennen? Ein kompetenter Politiker sollte eigentlich auch Glaubwürdigkeit ausstrahlen. Denn wem Glaube ich am ehesten, doch denjenigen, der auch die meiste Kompetenz besitzt. Ein niederkompetenter Mensch, der nur selten weiß was er tut, würde ich nicht vertrauen, und somit in meinen Augen auch ein gutes Maß an Glaubwürdigkeit verlieren.

Geradezu prophetisch erschien mir das Ergebnis zur Frage, wer von den beiden im Duell besser abgeschnitten hätte. Hier hatte Steinmeier die Nase vorn. Ein Mann, der in den Umfragen bisher weit hinter Merkel zurück lag, hat offensichtlich Boden gut gemacht. Aber wie viel Boden, bedenkt, man, dass die Menschen vor den Fernsehern doch davon ausgehen mussten, dass er eigentlich unerwartet gut abschnitt. Er muss nicht unbedingt besser gewesen als Frau Merkel, aber die schlechte Meinung im Vorfeld könnte ihm zu mehr Pluspunkte verholfen haben.

Aber letztendlich wird die Wahl am 27. September zeigen, wer die Nase vorne haben wird und welche Koalition denen neuen KanzlerIn stellen darf.

PS: Hätte schon früher erscheinen sollen.

 
 
28
September
EIN TRAUERSPIEL IN EINEM AUFZUG: DAS HARTGEKOCHTE EI
So lag es vor mir. Samten braun und hart gekocht. Noch handwarm, von dem frischen Wasser, gespeist aus Brunnens tiefer Quell. Es lächelte mich an und bat, ich soll es verspeisen. Nicht größer wär´ sein Wunsch, ein Naturell.

Ich nahm den Löffel, fest aus Eisen und schlug damit die Schal` entzwei. Es brach sogleich der kalk´ne Mantel, sonst so schützend, jetzt zu Brei. Entblößt lag nun sein Innerstes. Den Löffel in der Hand gepackt, drückte ich hinein ins weiße Fleisch. Benetzte zart die abgetrennte Kuppe, mit feinstem Salz vom Meer.

Doch als ich schob das kleine Weiße in meinen Mund hinein, bemerkte ich sofort “wie fest”. Die Zähn`, die ein Stück abtrennten, es packte mich der Schock so gleich. Und in meinem sonst so feinen Zügen, zog sich die Grimasse hart. Das Ei ward viel zu lang im heißen Sud. Zu Schanden, Schanden, Schanden.

Ein Schrei entfuhr aus meiner Kehle: “Mein armes Ding, was tat man dir.” Man hat aus einer Frucht des Lebens, das grauenvollste Ding gekocht. Zerstört, verstümmelt, die Seel´ gebrochen. Es war die vollendst´ Traurigkeit. Ich bracht es nicht hinab.

Wie gern´ hätt´ ich dich heut verspeist, zu deinem Wohle, ich bin getreu. Bleibst nun liegen auf meinem Tisch, nebst alter Wurscht und schimmlig Käs´.

Wie tut es mir nun leid.

 
 
24
September
KURZGESCHICHTE: DAS RESTLICHE LEBEN
Sie drehte die kleine Handtasche auf den Kopf. Der Inhalt ergoss sich über den Tisch. Ihr Lippenstift, samtrot, mit dem sie unzähligen Männern den Kopf verdreht hatte, rollte bis ans Ende der Tischplatte, kippte vornüber und blieb unbeachtet auf dem Boden liegen. Ihr stumpfer Blick durchwühlte die Utensilien. Eine Bürste, das winzige grüne Portemonnaie - das letzte Geld war schon lange ausgegeben -, die gesperrte Kreditkarte, ein paar verbogene Haarnadeln, zwei schwarze Haargummis, Puder und ein Präservativ. Nicht viel und keine große Wahl. Der einzige Gegenstand von Nutzen war das Präservativ, ungebraucht und in der Plastikverpackung verhüllt versprach es zumindest ein warmes Abendessen und eine Nacht ausschlafen mit einem unrasierten, ungewaschenen Mann. Eine kleine Hoffnung.

Sie bestellte sich einen Gin Tonic, nicht wissend, wie sie ihn bezahlen sollte. Die Bedienung nahm die Bestellung auf und ging davon. Ihre Hände wurden feucht. Sie hatte natürlich den Blick bemerkt, mit der die Bedienung sie abschätzte, angefangen von den hochhackigen Schuhen, über die Strümpfe, der schmutzige und zerrissene Rock, die viel zu weit ausgeschnittene Bluse, bis zum verschmierten Make-up. Auf der Toilette spritzte sie sich etwas Wasser ins Gesicht. Zum ersten Mal bemerkte sie die Augenringe, die sich tief in ihr Gesicht gebrannt hatten. Sie versteckte ihr alterndes Gesicht hinter viel Puder, setzte sich mit überschlagenen Beinen an den Tisch zurück und schnorrte sich von einem jungen, blauäugigen Mann eine Zigarette.

 
 
21
September
FÜR DIE WAHL GEQUÄLT - BERICHT EINES EHEMALIGEN NICHTWÄHLERS
Ich bezichtige mich gewählt haben zu wollen. Jawohl, ich habe es wirklich getan und wie schwer ist es mir gefallen, als passionierter Nichtwähler die Kreuze auch an die richtige Stelle zu setzen.

Hätte ich ein Orakel gehabt, ein leichtes wäre es gewesen, die nichts sagenden Aussagen der Parteien zu durchleuchten und auf den nichtvorhanden Kern der Wahrheit vorzustoßen.

Stattdessen habe ich Vroni, den Goldfisch meiner Großmutter, in das Waschbecken umgesiedelt, das Wasser restlos entleert und das Glas umgedreht auf den Küchentisch gestellt. Anschließend das Licht gelöscht und in die präparierte Pseudowahrsagekugel gestarrt, die ich von innen mit einer bunt leuchtenden Farb-LED illuminiert habe. Ich war also auf der Suche, ja nach was eigentlich? Der Wahrheit? Wahrheit und Politik, das sind zwei Pole, die sich mit aller Gewalt abstoßen. Die Zukunft? Die Gegenwart ist schon grausig genug, was hätte ich dann mit der Zukunft angefangen. Es musste was besseres geben. Der Goldfisch war mittlerweile verschwunden. Ich hatte den Stöpsel vergessen. Blöd auch.

In ein Goldfischglas starren, nein das brachte es nicht. Ich beschloss, einen rituellen Wahlzauber durchzuführen, den ich mir im Internet ergoogelt hatte. Warum nicht. Nachdem ich halbnackt, das notwendigste hatte ich mit einem selbstgehäckelten Lendenschurz verhüllt, viermal im Indianerstyle mit Feder im Haar um den Tisch gehüpft war und anschließend wie ein Frosch quakend, auf einem Stuhl wilde, unrhythmische Bewegungen mit meinen Armen vollführt habe, ließ ich die sehr aufwändige Methode sein. Vor dem Fenster bekamen die Nachbarn schon lange Hälse.

Es half alles nichts. Tiefsinnig stierte ich auf das Blatt und wartete. Vielleicht würde es irgendwann zu reden anfangen. Mittlerweile hatte die Sonne den Horizont geküsst und war untergegangen. Als nach mehreren Stunden immer noch nichts passiert war, wurde ich ungeduldig. Eine Hitze wallte in mir auf. So musste sich Horst Seehofer in einer der endlosen Kabinettssitzungen fühlen, wenn er sich in Rage geredet hatte. Ich drosch den Kugelschreiber gegen die Wand. Er traf mit der Spitze zuerst auf, blieb für einen kurzen Moment im Rigips stecken und viel auf den Boden. Aus dem Loch, das ich zurück gelassen hatte, rieselte der Putz auf den Parkettboden.

Ich gab auf. Heute würde ich jedenfalls kein Kreuz mehr machen. Vielleicht morgen. Den Seinen gibt es der Herr im Schlaf, heißt es. Ich kann nur hoffen, der Göttliche hat heute Nacht ein Einsehen mit mir, seinen armen, ehemaligen Nicht-Wähler.

 
 
17
September
EIN PLÄDOYER FÜR DIE KUNST
Kunst ist mehr, als Öl auf Leinen, Worte auf Papier, Noten auf einem Blatt, ein nackter Körper.

Die Kunst hält uns ihren Spiegel vor.

Kunst zerreisst das Bild, dass wir von der Wirklichkeit in uns Tragen.

Kunst lässt uns Dinge sehen, die wir sonst nicht wahr genommen hätten.

Kunst leert unsere Gedanken und füllt unseren Geist mit der Muse des Lebens.

Kunst schenkt uns Momente der Stille und Traurigkeit, aber auch der Freude.

Kunst lässt uns Glauben, an die Menschen und an eine Hoffnung.

Kunst schenkt uns Liebe und verteilt sie jeden Tag von neuem.

Kunst lässt uns menschliche Nähe intensiver erfahren.

Kunst konfrontiert uns mit der Wahrheit.

Kunst stiftet Sinn.

Kunst lässt uns diskutieren und Kontroversen führen.

Kunst braucht keine Übereinstimmung.

Kunst tötet die Sinne.

Kunst beflügelt den Geist.

Kunst nimmt man und gibt man.

Kunst lässt man geschehen.

Kunst braucht keine Begründung und nichts zu essen.

Kunst kann jeder verstehen.

Kunst lebt für sich.

Kunst hält uns am Leben.

Kunst ist das Leben.

 
 
PICASSO ÜBER DIE KUNST
“WIR ALLE WISSEN, DASS KUNST NICHT DIE WAHRHEIT IST, KUNST IST EINE LÜGE, DIE UNS DIE WAHRHEIT BEGREIFEN LEHRT.”

 
 
12
September
SIEBEN TAGE
Herr und Meister
Bitte erschaff´
die Erde
Neu für mich

Krieg und Folter
Hass und Angst
Sind hier
Und überall
Für mich.

Kümmer´ dich
Um deinen Sohn
Sonst verliert
Er sich
Im Nichts.

Steht im Dunkeln
Und erfriert
Sonst nichts.

 
 
WER SOLL DAS BEZAHLEN, ABER HABEN WIR EINE WAHL?
Der gute alte Keynes hatte recht, können seine Befürworter, die Keynesianer, mit Fug und Recht behaupten. Eine seiner Thesen war, in wirtschaftliche schlechten Zeiten müsse man das Geld, welches in Zeiten mit guter Wirtschaftslage zurückgelegt wurde, ausgeben und wieder der Wirtschaft, also den Unternehmen und damit den Menschen zurückgeben, um den freien Fall derselbigen abzubremsen, die Konjunktur zu beleben und solange zu stützen, bis sie wieder auf eigenen Beinen stehen kann.

Sobald die Rezession überwunden und die Wirtschaft wieder anzieht, muss man natürlich das Kapital wieder zurück holen und beiseite legen, sonst funktioniert das ganze System nur bedingt, oder, wenn kein erspartes Geld zur Verfügung stand, nur so lange, wie die Notenpressen laufen und frisches Geld ausspucken, oder auf Pump Kredite bei jenen holen, die noch Geld haben. Beide Varianten haben gravierende Nachteile.

Mehr Geld im Markt bedeutet einen höhere Geldmenge für die gleiche Anzahl von Gütern, es entsteht eine Inflation, die bei einer zu hohen Geldmenge kaum noch zu bremsen ist. Und Kredite müssen irgendwann zurückgezahlt werden. Wird die Schuldensumme zu hoch, fressen einen die Zinsen, der Staat kann seine Gläubiger nicht mehr bedienen und geht irgendwann bankrott. Nicht dass dieses Szenario Deutschland bevorstände, aber wir sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, der beängstigend ist.

Zum Zeitpunkt der Eintragung lag der Stand der Schuldenuhr bei:

1.729.264.905.428 EUR (1729 Milliarden)

Ein Atemzug später (etwas 5 Sekunden) wäre schon ein hübscher Mittelklassewagen drin gewesen, mit Sonderausstattung und mit, zwar nicht ökologischer, aber kraftvoller Motorisierung.

DAS DILEMMA

Die große Koalition hatte keine andere Wahl. Hätte sie weiter an ihrem Sparkurs festgehalten, wäre die deutsche Wirtschaft am Boden, die Steuereinnahmen würden noch stärker einbrechen, als sie es sowieso schon getan haben und die Schuldenuhr würde sich nur umso schneller drehen.

Insofern hatte Keynes recht mit seiner Theorie. Der Staat muss mit Maßnahmen der Krise entgegenwirken und Geld ausgeben, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Aber wer soll diesen Schuldenberg wieder abtragen. Der Autor zumindest nicht mehr. Denn so eine Mammutaufgabe (im Politikerjargon) bedarf es einer ganzen Generation.
Viel Spaß beim Zahlen, ihr Söhne, Enkel und Urenkel. Mit Glück trifft euch doch noch ein Staatsbankrott oder die Hyperinflation.

Drum merket euch. Nur das Ausgeben, was man wirklich in der Tasche hat.

 
 
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